Die Requisiteurin – Denken „Out of the Box“
Text und Foto: Nora Auerbach
Nora Stifter sorgt dafür, dass auf der Bühne Schnee rieselt und die Waffen möglichst echt aussehen, aber niemand zu Schaden kommt. Nora ist 32 Jahre alt und arbeitet seit einem Jahr als Requisiteurin am Deutschen Theater in Berlin. Die Atmosphäre am Theater fasziniert sie schon seit der Schule, erzählt sie bei einem Glas Wasser in der Küche der Requisite: Die gleicht einer Kommandozentrale, von der aus die Vorstellungen koordiniert werden. Anders als viele Kolleg:innen hat sie keine handwerkliche Ausbildung gemacht. Nach ihrem Studium der Kunstgeschichte und Japanologie arbeitete sie in Konstanz als Bühnenbildassistentin. Ihre Fortbildung zur Requisiteurin führte sie ans Staatstheater Mainz.
Requisite sei „learning by doing“, sagt sie, während sie mich durch die Magazine des Deutschen Theaters führt, in denen sich die zahlreichen Requisiten von abgespielten Stücken sammeln. Flaschen, Besteck und Gläser, alte Zeitungsausgaben des Neuen Deutschlands aus DDR-Zeiten, Waffen und andere Raritäten finden sich hier. Ein ganzer Fundus an Alltagsgeschichte, aus dem immer wieder neue Theatergeschichte entsteht. Jedes Requisit stelle neue Anforderungen an den/die Requisiteur: in, erzählt Nora Stifter begeistert. Nur nach einem Schema vorzugehen, funktioniere dabei nicht. Ein Objekt soll gut aussehen, zum Bühnenbild und zur Inszenierung passen. Aber es muss auch praktisch sein, damit es die Schauspieler: innen gefahrlos verwenden können. Für den gewollten Effekt muss eine Requisiteurin oder ein Requisiteur das Stück verstehen, findet sie. Gefragt sind Flexibilität, Interesse an Materialien und Eigeninitiative. Das gewöhnliche Alltagsobjekt wird zweckentfremdet und erzählt auf der Bühne eine ganz eigene Geschichte.
Ihre Aufgabe beschreibt Nora Stifter so: „Die Sachen zum richtigen Zeitpunkt an die richtige Stelle bringen“. Damit bei der Vorstellung die Einsätze stimmen und kein Chaos entsteht, dokumentiert sie haargenau, welches Requisit wo steht, fotografiert die Einrichtung und katalogisiert, wie viele Zigaretten in die Schachtel müssen und welches Feuerzeug für die Schauspieler: innen gebraucht wird. Vor der Vorstellung stellt sie die Möbel, füllt die Getränke auf, bereitet Lebensmittel vor. Auch das Fooddesign gehört zum vielfältigen Beruf einer Requisiteurin. Das Essen kommt jedoch immer erst am Ende an seinen Platz, wegen der Naschkatzen, die in unbeobachteten Momenten ihre Pfoten ausstrecken, erzählt Nora Stifter lachend.
Wie immer im Theater sind Kooperation und Koordination gefragt, damit am Ende alle Abläufe stimmen. Auch als Requisiteur: in ist man ab und an selbst Mitspieler: in. Streikt die Konfettikanone, warten die Schauspieler:innen auf der Bühne vergebens auf ihren Einsatz. Manchmal ist man sogar mittendrin und doch nicht im Rampenlicht. Nora Stifter saß schon im Inneren eines gigantischen Tortenstücks, um der Schauspielerin Sophie Rois die Requisiten durch einen Schlitz anzureichen.
Zusätzlich zur Vorstellungsbetreuung kommt der Probenalltag. Bevor alles auf der Bühne für den großen Moment zusammenkommt, wird geräumt, gesucht, gebaut und wieder verworfen. Alles kann ein Requisit werden. Während der Proben für eine Inszenierung recherchiert Nora viel. Dafür geht sie in Antiquitätenhandlungen, sucht im Internet etwa nach dem passenden Geschirr oder baut eigene Requisiten. „Man muss sich ständig darüber Gedanken machen, worüber sich niemand Gedanken macht“, erzählt Nora Stifter und zeigt auf Dosen, die sie für die Inszenierung von „Franziska Linkerhand“ hergestellt hat. Die Etiketten hat sie am Computer im DDR-Look erstellt. Damit die Konserven eine gewisse Standfestigkeit bekommen, sind sie nicht leer, sondern mit Bauschaum gefüllt. Außerdem spritzt dann auch nicht unerwartet Erbsensuppe über die Bühne, sollte eine Dose mal unglücklich fallen und dabei nicht nur verbeulen, sondern sogar aufplatzen.
Für den Beruf der Requisiteurin muss man Stressresistenz und Organisationstalent mitbringen und sich darauf einstellen auch an Wochenenden oder feiertags zu arbeiten. Doch der abwechslungsreiche Alltag am Theater, die Möglichkeit selbst kreativ zu arbeiten und das fertige Ergebnis nach wochenlanger Arbeit machen das für Nora Stifter wett. Wenn der Vorhang und mit ihm die Anspannung fällt, der Premierenapplaus verhallt, kommt Nora Stifter noch einmal auf die Bühne. Jedes einzelne Requisit wird gesäubert und verstaut. Dann warten diese schönen Dinge auf ihren nächsten Auftritt vor einem hoffentlich begeisterten Publikum.
Erschienen in junge bühne Nr. 14 (Spielzeit 2020/21)