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Wie werde ich Chorsänger:in?

Opernchor vorgestellt

Text: Johannes Knecht

Neulich war ich im Fußballstadion. Die Gesänge der Fans dort waren ungemein beeindruckend. Aber auch die beiden Teams haben ein engagiertes Spiel gezeigt. Man konnte den Siegeswillen beider Teams bis auf die Tribüne spüren. Die jeweiligen Fanchöre peitschten die Spieler ihres Lieblingsvereins unermüdlich und stimmgewaltig nach vorne. Da sprang der Funke von den Rängen aufs Spielfeld über. Gänsehaut!

Wer schon einmal in einem Fußballteam gespielt hat, weiß, wie viel Spaß das machen kann. Aber was bedeutet es eigentlich, in einem Chor zu singen? Kann man das denn mit Fußballspielen vergleichen? Gibt es da überhaupt Gemeinsamkeiten?

Schauen wir einmal hin: in beiden Fällen kommen Menschen zusammen, die ein gemeinsames Hobby, wenn nicht sogar eine gemeinsame Leidenschaft haben. Sie möchten etwas zusammen erleben. Und sie haben ein gemeinsames Ziel: Die einen möchten ein Spiel gewinnen, vielleicht eine Meisterschaft. Die anderen erlernen zusammen ein Musikstück und führen es im Konzert oder in der Oper auf. Wenn es gelingt, werden beide Gemeinschaften von einem unbeschreiblichen Gefühl der Freude und der Zusammengehörigkeit getragen. Bei den Chorsänger:innen, der oder dem Dirigent:in und dem Publikum wird das genau so sein, wie bei Spieler:innen, Trainer:innen und Fans eines erfolgreichen Fußballteams. Für mich besteht gar kein Zweifel: Fußballplätze und Konzertsäle sind Orte für ganz große Emotionen!

»In einem vierstimmigen Chor mit hohen und tiefen Frauen- und Männerstimmen ist die Einteilung in Sopran, Alt, Tenor und Bass zwar vorgegeben, jede einzelne Stimme klingt aber unvergleichbar und besonders.«

Und doch ist die Welt des Chorgesangs natürlich eine ganz besondere. Ein guter Chor besteht – wie ein Fußballteam auch – aus Menschen mit unterschiedlichen Fähigkeiten, Begabungen und Voraussetzungen: In einem vierstimmigen Chor mit hohen und tiefen Frauen- und Männerstimmen ist die Einteilung in Sopran, Alt, Tenor und Bass zwar vorgegeben, jede einzelne Stimme klingt aber unvergleichbar und besonders. Während eine Altistin vielleicht eine wunderschöne Stimme hat, tut sich in der Tenorgruppe möglicherweise ein Sänger durch seine unerschütterliche Intonationssicherheit hervor. Ein anderer Sänger aus dem Bass trägt wiederum durch exakte Aussprache und Textdeklamation zur rhythmischen Stabilität des Gesamtklanges bei. Eine der wichtigsten Aufgaben von Chordirigent:innen ist es nun, aus den zahlreichen Einzelstimmen ein homogenes Ganzes, eine Klanggemeinschaft, man könnte auch sagen: ein musikalisches Team zu formen.

Der ideale Klang eines Chores entsteht vor allem dadurch, dass der Einzelne sich in der Gruppe so wohl fühlt, dass er seine persönlichen Fähigkeiten frei entfalten kann und in den Dienst des Gesamtklanges stellt. Ist das gewährleistet, steht einem Erfolg nichts mehr im Weg! Dabei ist es unerheblich, ob man als Amateur:in in einem Kirchen- oder Jugendchor, oder als ausgebildete:r Sänger:in im Rundfunk- oder Opernchor singt. Trotzdem bestehen natürlich Unterschiede zwischen Profi – und Laienchören.

Ein sehr wichtiger scheint mir dabei der zu sein, dass Laiensänger:innen in ihrer Freizeit singen, während Berufssänger:innen in ihrer Freizeit meistens nicht oder eher selten singen. Da diese Zeit in erster Linie der Erholung, Entspannung oder Anregung dienen soll, ist es also für Dirigent:innen eines Laienchores die erste Aufgabe, dafür zu sorgen, dass das Proben Spaß macht! Die Chorprobe soll ein positiver Ausgleich zu Schule, Beruf oder Alltag sein. Auch professionelle Sänger:innen singen aus Freude an der Musik und am Gesang. Deswegen haben sie viele Jahre studiert und ihr Stimme ausgebildet. Auch sie möchten selbstverständlich, dass die Proben Spaß machen. Oft bedeutet Singen im professionellen Kontext aber auch harte Arbeit!

»Der Beruf Opernchorsänger:in erfordert neben einer schönen Stimme auch ein feines Gespür für Musik und Sprache, eine schnelle Auffassungsgabe, schauspielerische Fähigkeiten und viel Disziplin.«

Betrachten wir zum Beispiel einen Opernchor. Innerhalb der Handlung einer Oper ist die Stärke des Chores vor allem seine kollektive Geschlossenheit. Oft ist der Chor den Interessen oder Bedürfnissen der Einzelpersonen (den Gesangssolist:innen) entgegen gestellt. Das erzeugt einerseits handlungsbezogene Konflikte oder Entwicklungen, andererseits auch starke musikalische Kontraste. Aus diesem Grund spielen und singen in fast allen Opern auch Chöre mit. Opernchorsänger:innen sind also Sängerdarsteller:innen. Von ihnen werden in hohem Maße sowohl musikalische, als auch darstellerische Fähigkeiten erwartet. In den musikalischen Probenphasen müssen die Sängerinnen und Sänger eines Opernchores oft in kurzer Zeit neue, teils unbekannte Chorpartien einstudieren und das bestmögliche musikalische Niveau erreichen. Hier wird an Intonation, Phrasierung, Dynamik, an Klangfarbe und Aussprache gefeilt. Während einer Spielzeit singt ein Opernchor nicht selten in vier oder fünf verschiedenen Sprachen. Nebenbei muss der Notentext komplett auswendig gelernt, verinnerlicht und zuletzt gemeinsam mit Regisseur:innen szenisch erarbeitet und umgesetzt werden. Hierin unterscheidet sich ein Opernchor auch von Konzert- oder Rundfunkchören. Denn dort wird so gut wie nie etwas auswendig gesungen. Der Beruf Opernchorsänger:in erfordert also neben einer schönen Stimme auch ein feines Gespür für Musik und Sprache, eine schnelle Auffassungsgabe, schauspielerische Fähigkeiten und viel Disziplin.

Auf den großen Opernbühnen der Welt singen aber nicht ausschließlich professionelle Sängerinnen und Sänger: Manchmal dürfen fortgeschrittene Laiensänger:innen die Berufschöre unterstützen, nämlich immer dann, wenn Komponist:innen einer Oper einen besonders großen Chor verlangen. Außerdem stehen in vielen Opern auch Kinder singend und spielend auf der Bühne. Darum gibt es an vielen Opernhäusern auch spezielle Kinderchöre. Dann stehen also Berufssänger:innen und Laiensänger:innen auch mal gemeinsam auf der Bühne und widmen sich einer der schönsten und intensivsten Beschäftigungen. Und die Faszination, die vom gemeinsamen Singen und Spielen ausgeht, macht zwischen ihnen keinen Unterschied.

erschienen in junge bühne Nr. 7