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Wie werde ich Dramaturg:in?

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Was macht eine Musikdramaturg:in?

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Was macht ein:e Schauspieldramaturg:in?

Beruf Dramaturg:in – Weichensteller:in im Hintergrund

Text: Anja-Maria Foshag

Ihre Rolle ist die von Vernetzer:innen, der Spielplan ihr Aushängeschild, die Kritik ihr täglich Brot – Dramaturg:innen, oder: die ›Held:innen‹ aus der zweiten Reihe. Der allabendliche Applaus, mit dem eine gelungene Inszenierung gewürdigt wird, gilt in der Regel den Schauspieler:innen und der Regie – nicht aber all denen, die hinter den Kulissen dafür Sorge getragen haben, dass es eine Produktion – also das, was wir sehen – überhaupt auf die Bühne geschafft hat.

Dabei fängt die planerische Arbeit bereits mit einem halben Jahr Vorlauf an:

  • Welche Stücke sollen auf den Spielplan?
  • Wer soll sie inszenieren?
  • Und wer spielt mit?

Das alles sind Fragen, die sich Dramaturg:innen stellen müssen. »Wer ein Publikum erreichen möchte, der muss Trends nicht nur aufspüren, sondern auch selbst Trends setzen«, meint Rüdiger Schillig, einer der Dramaturg:innen des Staatstheaters Darmstadt. Insgesamt gibt es am Haus drei Vollzeit-Dramaturg:innen, einen auch dramaturgisch arbeitenden Schauspieldirektor, außerdem zwei halbe Dramaturg:innenstellen und eine Dramaturgie-Assistenz.

Das Staatstheater Darmstadt, ein Mehrspartenhaus, bespielt mit Opern, Operetten, Musicals, Konzerten, Sprech- und Tanztheater drei unterschiedlich große Bühnen: das Große Haus, das Kleine Haus und die Kammerspiele – und mit der BAR sogar eine vierte Spielstätte. In den letzten Jahren wurde das Theatergebäude generalüberholt. Auch in der Theaterleitung gab es 2004/2005 eine Veränderung. Der bekannte Opernregisseur John Dew löste seinen Vorgänger Gerd-Theo Umberg ab und wurde Intendant des Hauses.

»Schnittstelle zwischen Theater und Publikum.«

Seit knapp zwei Jahren sind auch die Dramaturg:innen Christian Mayer, Rüdiger Schillig und Susanna Schulz mit verantwortlich für das Profil des Hauses. Besonders wenn es Kritik hagelt, stehen Dramaturg:innen plötzlich in der ersten Reihe: als Schnittstelle zwischen Theater und Publikum erreichen ihn Beschwerden oft auf dem direktesten Weg. Dabei ist bei den meisten die Vorstellung davon, was Dramaturg:innen machen, unscharf und das Unwissen groß.

»Dramaturg:innen müssen vor allem eins: lesen, lesen, lesen.«

Also: Was machen Dramaturg:innen? Sie arbeiteen in zwei Richtungen: nach innen und nach außen. Die Arbeit nach innen beschreibt theaterinterne Abläufe, die – um das Verständnis zu erleichtern – wiederum in zwei Schwerpunkte untergliedert werden können. Zum einen sind Dramaturg:innen beteiligt an der Spielplangestaltung, beschäftigen sich also, zumindest als Dramaturg:innen für Sprechtheater, erzählt Christian Mayer, z. B. mit der Frage, welches Stück es auf den Spielplan schafft. Um eine gelungene und abwechslungsreiche Stückauswahl treffen zu können, müssen Dramaturg:innen vor allem eins: lesen, lesen, lesen. Ein Stück, das in den Spielplan aufgenommen wird, muss nicht nur gefallen beziehungsweise interessieren und qualitativ überzeugen, sondern auch mit Hinblick auf den Standort, die Bühnentauglichkeit und personelle wie finanzielle Gegebenheiten im Rahmen des Möglichen liegen. Fällt ein Text für die Bühne durch, muss er entweder verworfen – oder überarbeitet werden. Zum anderen begleitet die Dramaturgie eines Theaters die Theaterproduktionen. In diesem Zusammenhang spricht man auch von produktionsbegleitender Dramaturgie. Darunter fallen Gespräche mit Regisseur:innen und eine aufmerksame und kritische aber partnerschaftliche Begleitung von Probenprozessen: Dramaturg:innen, sagt Rüdiger Schillig, seien die »ersten Zuschauer:innen und erste Kritiker:innen.« Auch für das Erstellen eines Programmheftes zeichnen sich Dramaturg:innen verantwortlich. Das Programmheft verweist in seiner Funktion, theatererfahrenes wie -unerfahrenes Publikum zu erreichen und über ein Stück und die Inszenierung zu informieren und neugierig zu machen, bereits auf die zweite Richtung, in die sich Dramaturg:innen engagieren muss.

»Schnittstelle zwischen Theater und Öffentlichkeit.«

Gemeint sind Anstrengungen, die auf das Publikum und also auch auf die Presse abgestimmt sind. Als Schnittstelle zwischen Theater und Öffentlichkeit organisieren Dramaturg:innen Einführungen, Publikumsgespräche, Probenbesuche und Interviews; Presse- und Zuschauer:innenkontakte müssen gepflegt werden. Christian Mayer, Rüdiger Schillig und Susanna Schulz haben darüber hinaus auch einen Lehrauftrag der Stadt Darmstadt. An jeweils zehn Abenden findet in Kooperation mit der Volkshochschule Darmstadt spielplanbegleitend die »Arbeitsgruppe Theater« statt. Die Grenzen zur Presse- und Öffentlichkeitsarbeit (in Darmstadt: Kommunikation und Marketing) und/oder zur Theaterpädagogik sind dabei, wie das Angebot zeigt, teilweise fließend und werden von Haus zu Haus anders gezogen.

Aber nicht nur das: auch innerhalb eines Theaters arbeiten Dramaturg:innen mitunter unterschiedlich. Besonders an einem Mehrspartenhaus wie dem Staatstheater Darmstadt liegt das nahe. Beim Musiktheater, der wahrscheinlich komplexesten Sparte mit dem personell und finanziell größten Apparat, der größten Bühne und dem größten Aufwand, fällt für Musiktheaterdramaturg Rüdiger Schillig besonders viel organisatorische Arbeit an. Der Spielplan für das Musiktheater in Darmstadt hingegen entsteht in der Intendanz. Da in der Regel italienische, französische, englische oder – im Kommen sind auch slawische Sprachen – tschechische Opern aufgeführt werden, gehört es außerdem zu Rüdiger Schilligs regelmäßigen Aufgaben, Übertitel zu erstellen.

Als Dramaturgin für Tanz hingegen arbeitet Susanna Schulz beinahe ganz in der Fremdsprache. Kein:e Tänzer:in des sechzehnköpfigen Darmstädter Tanzensembles, für die Susanna Schulz Managerin und Ansprechpartnerin ist, kommt aus Deutschland. Sie arbeitet eng mit Tanzdirektorin und Chefchoreografin Mei Hong Lin zusammen, berät sie konzeptionell, kümmert sich um die Organisation, Tourneen, die Vermarktung der Tanzcompany und um die Company selbst. Das bedeutet: auch nach Feierabend klingelt das Telefon, wenn ein:e Tänzer:in Fragen oder Sorgen hat und/oder verletzt ist.

»Eine 60-Stunden-Woche ist keine Ausnahme.«

Nur ein Indiz dafür, wie aufreibend beziehungsweise intensiv die Arbeit am Biotop Theater ist – auch zeitlich: eine 60-Stunden-Woche ist keine Ausnahme.

So herausfordernd und vielseitig der Beruf ist, so zahlreich sind auch die Anforderungen, die der Beruf stellt. Neben einer umfangreichen Kenntnis von Primär- und Sekundärliteratur sollte man ein feines Gespür für das geschriebene und das gesprochene Wort mitbringen, um einerseits Stücke auswählen, aber auch Inhalte spannend aufbereiten und vermitteln zu können. Auch Teamfähigkeit, Kontaktfreude, Durchsetzungsvermögen, Fremdsprachenkenntnisse sind gefragt – und Kreativität. Nicht nur ihr Künstler:innenvertrag markiert Dramaturg:innen als Kunstschaffende, die sich damit allen Unsicherheiten und Diskontinuitäten ausgesetzt und vor künstlerisch-wissenschaftliche (aber auch organisatorische) Herausforderungen gestellt sehen.

Dramaturg:innen müssen außerdem flexibel, zeitlich verfügbar, stressresistent und belastbar sein: »Wir sind«, formuliert es Rüdiger Schillig, »natürlich immer in der eigentlich etwas widersprüchlichen Situation, dass man einerseits extrem feinfühlig sein muss für Schwingungen, die im Text zwischen den Zeilen stehen. Andererseits ist der Ton im Theater auch mal etwas rauer, und da braucht man dann schon mal ein dickes Fell«. Viel Zeit, Energie und Persönlichkeit fließen in die Arbeit ein, umso schwerer wiegen mitunter künstlerische Rückschläge.

Christian Mayer: »Dramaturg:in ist ein sehr emotionsgeladener Beruf, weil Emotionen Thema und Mittel sind.« Man gibt viel von sich preis. Warum die drei trotz allem bei der Stange bleiben? Rüdiger Schillig: »Weil es ein privilegierter Beruf ist.« Man hat die Möglichkeit, sich mit den Dingen zu beschäftigen, mit denen man sich gerne beschäftigt. Kann tief in eine Materie eintauchen. Lernt immer wieder Neues und immer wieder neue Menschen kennen. Darf die eigenen Erkenntnisse und Erträge der Auseinandersetzung und die eigene Begeisterung im Dialog mit Regisseur:innen, den Beschäftigten und in einem letzten Schritt mit dem Publikum weitergeben.

Um für den Beruf Dramaturg:in gut vorbereitet zu sein, kann ein geisteswissenschaftliches Studium eine gute Basis sein. Hier lernt man selbstständiges Arbeiten und die kritische und analytische Auseinandersetzung mit Texten und Inhalten. Der Rest ist Learning by doing – am Theater ist ein beruflicher Quereinstieg immer noch möglich.

Susanna Schulz z.B. hat eigentlich Ethnologie und Amerikanistik mit Schwerpunkt Musik, Tanz und kultureller Ausdruck in Frankfurt am Main und an der University of California Berkley studiert. Tanztheater ist seit der Kindheit ihre Leidenschaft. Sie ist mit ihren 28 Jahren die jüngste Dramaturgin am Staatstheater. Sie arbeitete sieben Jahre als Inspizientin in der Alten Oper in Frankfurt am Main, war freie Mitarbeiterin bei 3sat-Kulturzeit und, nach einem Volontariat bei den Ludwigsburger Schlossfestspielen Pressereferentin, am Goetheinstitut in Mexiko, bevor sie nach Darmstadt kam.

Rüdiger Schillig hingegen, 43 Jahre alt, hat es schon sehr früh zum Theater gezogen. Nach einem Studium der Theaterwissenschaft an der Ludwig-Maximilians-Universität in München, arbeitete er mehrere Jahre freiberuflich für Sony Classical, lektorierte CD-Booklets und war außerdem Journalist für ein Musikmagazin. Nach seiner ersten Anstellung als Dramaturg in Osnabrück kam er über Koblenz und Kassel schließlich nach Südhessen.

Interesse fürs Theater leitete auch Christian Mayer, 32 Jahre alt, als er in Mainz sein Studium der Theaterwissenschaft, Sozialwissenschaft und Germanistik aufnahm. Nach Regie- und Dramaturgie-Assistenzen in Mainz und Berlin (Deutsches Theater und Schaubühne), trat er am Landestheater Coburg seine erste Stelle als Dramaturg an und wechselte dann nach Darmstadt.

Mittlerweile versprechen teilweise neu eingerichtete Studiengänge Dramaturgie in Frankfurt, Hamburg, München und Leipzig einen direkten Berufseinstieg. Im Rahmen des Studiums sollen die Studierenden mit Theatergeschichte, Theaterästhetiken und Inszenierungsweisen vertraut gemacht werden. Außerdem wird auf Praxisnähe gesetzt: Management, Theatertechnik und Öffentlichkeitsarbeit stehen neben den Grundlagen dramaturgischer Praxis ebenfalls auf dem Programm.

»Was wäre das Theater ohne das Dreigestirn Kunst, Technik, Verwaltung?«

Viele denken beim Schlagwort Theater an spannungsgeladene und atmosphärische zwei Stunden. Wer davon träumt, ans Theater zu gehen, hat vermutlich die Idee, Schauspieler:in oder Regisseur:in zu werden. Zugegeben: das ist die glamourösere Seite des Theaterbetriebs. Aber was wäre das Theater ohne das Dreigestirn Kunst, Technik, Verwaltung? Und was ohne Dramaturg:innen?

»Dramaturgie: etwas für Idealist:innen.«

Wen es also nicht auf die Bühne zieht, der denke doch mal darüber nach, Dramaturg:in zu werden. Auch zum Beruf Dramaturg:in muss man sich berufen, zumindest aber leidenschaftlich hingezogen fühlen. Als Dramaturg:in ist man, weiß Susanna Schulz, ebenfalls Teil der großen Theaterfamilie. Und wie das Familienleben ist das Theaterleben mal Höllenritt, mal Himmelfahrt. Ein Dazwischen gibt es am Theater selten. Dramaturgie: etwas für Idealist:innen.

erschienen in junge bühne Nr. 3