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Wie werde ich Inspizient:in?

Heimliche Dirigent:innen

Text: Ulrike Lehmann

Die erste Ansage am Abend: »Saal dunkel!«. Das Orchester hat gestimmt, der Dirigent ist an seinem Platz und gleich wird sich der Vorhang heben. Ab jetzt muss alles genau auf den Punkt funktionieren – und die Verantwortung dafür liegt bei ihr: Karoline Schubert arbeitet als Inspizientin am Theater Chemnitz.

Das Pult der Inspizient:innen, das sich wie eine Schaltzentrale des Theaters auf der Seitenbühne befindet, ist der wichtigste Koordinationspunkt während einer Vorstellung. Von hier aus geben Inspizient:innen Signale – sogenannte Cues – für das Licht, steuern die Bühnentechnik und rufen Künstler:innen zu ihrem Auftritt. Aber nicht nur die technische Umsetzung einer Inszenierung liegt in der Verantwortung von Inspizient:innen. Als Schnittstelle zwischen Regie, Dirigent:in, Darsteller:innen, Beleuchtung, Requisite sowie Bühnen- und Tontechnik laufen bei der Inspizienz alle Fäden zusammen, die für einen reibungslosen Ablauf des Theaterabends nötig sind.

»Wenn du nicht ein wirklich ausgeglichener Typ bist, ist dieser Job nicht geeignet für dich«, weiß Karoline Schubert, die als Inspizientin am Chemnitzer Opernhaus arbeitet. Denn oftmals müsse man als Prellbock für alles herhalten, was nicht funktioniert. Ob das Regieteam während der Proben unzufrieden ist, weil sich die Bühne zu spät dreht oder ein Umbau zu lange dauert – als erste Ansprechpartner:innen müssen Inspizient:innen stets Ruhe bewahren. »In Endprobenphasen hilft es dann manchmal, 10 Sekunden den allgemeinen Stress zu veratmen«, hat die erfahrene Theaterfrau inzwischen gelernt. Sonst schaukelt sich schnell alles hoch.

Das breite Aufgabenfeld Inspizient:innen beginnt aber nicht erst am Vorstellungsabend. Ähnlich wie Souffleuse und Souffleure begleiten sie ein Stück von Beginn der Proben und müssen das Geschehen bis ins kleinste Detail kennen. Das macht die Arbeit auch so spannend, denn man durchläuft fast alle Stufen des Produktionsprozesses.

»Achtung für Stimmung 3!«

Gemeinsam mit dem Regieteam und Bühnenbildner:innen besprechen Inspizient:innen alle Umbauten. Sowohl die Fahrten – so werden die Bewegungen der Bühne genannt – als auch die unterschiedlichen Stimmungen – so heißen im Theater die Lichtverhältnisse einer Szene – müssen auf den Takt genau vereinbart werden. Nur so können die über Lautsprecher durchgegebenen Cues im richtigen Moment ausgeführt werden. »Achtung für Stimmung 3!« und kurz darauf »Stimmung 3 ab!« sind die Ansagen, die Karoline Schubert ins Mikrofon spricht und die über Lautsprecher alle Verantwortlichen der Bühnentechnik und Beleuchtung erreichen. Dabei ist die technische Entwicklung eine enorme Erleichterung für diesen Job: »Früher wurden die Stimmungen noch in Sekunden ausgezählt, jetzt läuft das alles über den Computer«, erinnert sie sich. Doch die Signale müssen trotzdem per Hand eingegeben werden, schließlich geben bei einer Oper immer noch der oder die Dirigent:in das Tempo an.

»Ein ganz wichtiges Instrument ist der Radiergummi – aber nur bis zur Generalprobe.«

Deswegen ist das so genannte »I-Pult« (Inspizient:innen-Pult) mit mehreren Monitoren bestückt, auf denen nicht nur die Dirigent:innen zu sehen sind, sondern ebenso die Bühne aus Publikumsperspektive. So bleibt das Geschehen jederzeit im Blickfeld. Neben einer Reihe von bunten Knöpfen, Schaltern und einem Mikrofon (mit dem übrigens auch die Sänger:innen rechtzeitig zu ihren Auftritten gerufen werden) verfügen Inspizient:innen über einen voll beschriebenen Klavierauszug des Stückes. Hier werden schon während der Proben alle technischen Zeichen und Einrufe in die jeweiligen Takte eingetragen, damit sie im rechten Moment leicht zu finden sind.

»Ein ganz wichtiges Instrument von Inspizient:innen ist übrigens der Radiergummi – aber nur bis zur Generalprobe.« Danach sollten möglichst keine Änderungen mehr stattfinden, schließlich steht die Sicherheit der Beteiligten an erster Stelle. Und ungeprobte Bühnendrehungen zum Beispiel können durchaus gefährlich werden, wenn Darsteller:innen nicht gewohnt sind, darauf besonders Acht zu geben.

Wenn ein Stück länger nicht auf dem Spielplan stand, setzt sich Karoline Schubert schon mal nachmittags mit ihrem Klavierauszug zuhause hin und geht es gedanklich durch, damit wieder alles im Kopf präsent ist. Wenn der Vorhang fällt und die Darsteller:innen aufatmen, ist ihr Abend noch nicht vorbei: Die Applausordnung muss koordiniert werden und der Vorhang gesteuert. Sobald der dann schließt, die Monitore ausgeschaltet sind und das Publikum den Saal verlässt, löst sich auch die hohe nervliche Anspannung der Chemnitzer Inspizientin.

erschienen in junge bühne Nr. 2