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Wie werde ich Intendant:in?

Beruf Intendant:in – Wie geht eigentlich Theaterchef:in?

Mal einsam an der Spitze, mal einsame Spitze. Über den Beruf Intendant:in

Text: Anja-Maria Foshag

Matthias Faltz hat das Theater nicht gesucht, es hat ihn gefunden. Und zwar mit aller Macht. Nun kann er auf seine erste Spielzeit als Intendant – und zwar des Hessischen Landestheaters Marburg – zurückblicken.

Der diplomierte Techniker kam auf Umwegen ans Theater, fing als Duo FINKE-FALTZ an und arbeitete als freier Regisseur und Autor, bis er von Manfred Beilharz angefragt wurde, die Leitung des Kinder- und Jugendtheaters am Staatstheater Wiesbaden zu übernehmen. Sechs Jahre war Faltz in Wiesbaden Spartenleiter, bis sein Wunsch nach persönlicher Veränderung ihn motivierte, sich um die Stelle des Intendanten in Marburg zu bemühen. Und weil sein Konzept überzeugte und er sowohl mit leitenden Aufgaben als auch mit Kinder- und Jugendtheater und Tourneetheater vertraut ist, entschied sich die Findungskommission einstimmig für ihn.

Das Beispiel von Matthias Faltz zeigt, dass es keinen Königsweg zum Intendant:innenposten gibt. Neben der Fähigkeit, zu führen und ein Ensemble zu leiten und zu begeistern, müssen Intendant:innen vor allem Entscheidungen – auch unangenehme – treffen können, d.h. Prioritäten setzen. Sie müssen spontan und schnell reagieren können, wenn einmal alles zusammenkommt. Und die Nerven behalten.

Aber auch Sich-Abgrenzen-Können gehört dazu. Zum Glück wollen seine Mitarbeiter:innen ihn gar nicht immer erreichen, sagt Faltz. Faltz’ Arbeitstag beginnt früh und endet spät; zweimal am Tag wird geprobt, dazwischen organisiert, koordiniert und besprochen. Die jeweils nächste Spielzeit muss geplant und die aktuelle begleitet werden. Zweimal wöchentlich finden Faltz und Mitarbeiter:innen sich zur Leitungsrunde ein. Darüber hinaus wohnt Faltz Konzeptions-, Haupt- und Endproben wie Premieren bei. Auch externe Termine muss er wahrnehmen, um Rechenschaft über das eigene Haus abzulegen, das Theater zu repräsentieren und Produktionen zu präsentieren, um sich zu informieren und zu orientieren, wie und wo das Theater Marburg in der Theaterlandschaft verortet ist.

»Intendant:innen delegieren Aufgaben und Verantwortung an einen ganzen Stab von Mitarbeiter:innen.«

Angesichts der vielen und verschiedenen Aufgaben liegt nahe, dass Intendant:innen zwar in vielem bewandert, aber nicht in allem Expert:innen sein können. Folgerichtig geben Intendant:innen Aufgaben und Verantwortung an einen ganzen Stab von Mitarbeiter:innen weiter. Faltz ist im Umgang mit seinen Mitarbeitern kollegial, offen, freundlich und wenn es nach Faltz ginge, gäbe es nur flache Hierarchien und vor allem Begegnungen auf Augenhöhe. So hat er es in Wiesbaden mit seinem Mitarbeiterstab von zehn Leuten gehalten, die ein starkes Wir-Gefühl verband. Eine Sparte, so Faltz, sei wie eine Insel.

Als er die Arbeit in Marburg aufnahm, musste er feststellen, dass sich diese Arbeitssituation einer gewachsenen Inselgemeinschaft nicht einfach auf einen größeren Rahmen wie ein ganzes Theater und die Arbeit als Intendant transferieren lässt. Hierarchie muss nicht zwingend vom Kopf eines Unternehmens ausgehen; sie kann auch von unten habituell hineingetragen werden, was Faltz – von Zeit zu Zeit – sich einsam fühlen lässt. Dann hilft, was eigentlich eine Doppelbelastung ist: Faltz zählt zu den Intendant:innen, die selbst inszenieren. Das gemeinsame Proben mit dem Ensemble ermöglicht ihm eine andere Art der Zusammenarbeit, die von mehr Miteinander getragen ist.

»Gute Energie – gute Arbeit«

Auf die Frage, was Intendant:innen mitzubringen habe, antwortet Faltz, er müsse die Menschen lieben. Weil das so ist, ist Faltz bemüht, sich mit jenen zu umgeben, die zu lieben ihm leichtfällt. Immerhin 65 Menschen sind am Marburger Theater beschäftigt. Faltz bringt konstruktive Zusammenarbeit auf die Formel »Gute Energie – gute Arbeit«. Für sein Ensemble hofft er, es möge autark bleiben, sich selbst ein- und wertschätzen können und also Ort der Bestätigung aber auch kritischen Inaugenscheinnahme sein, so dass er in gewisser Weise überflüssig werde.

»Theater braucht Veränderung – um offen für neue Impulse zu sein und selbst neue geben zu können.«

Ein Konflikt, den Faltz als Intendant umtreibt, ist die dauerhafte Spannung im Theaterbetrieb: zwischen der Sehnsucht der Mitarbeiter:innen (er selbst eingeschlossen) nach Kontinuität und Gemeinschaft einerseits und andererseits dem Wunsch und dem Zwang zu Selbsterneuerung und Veränderung, die diesem Harmoniestreben entgegenlaufen müssen. Nicht nur möchten die Zuschauer:innen immer wieder überrascht werden. Theater braucht Veränderung – um offen für neue Impulse zu sein und selbst neue geben zu können. Das wiederum bedeutet für Faltz, personelle Veränderungen nicht nur in Kauf nehmen, sondern sogar anstreben zu müssen.

Aber nicht allein für ihre Mitarbeiter:innen tragen Intendant:innen Verantwortung, sie sind auch für das Theater, das Konzept und ein volles Haus verantwortlich. Sie müssen Strukturen aufbauen und sichern, so dass ein Theater arbeitsfähig ist und bleibt, und Phantasien entwickeln, wie sich Ideen realisieren lassen. Dabei dürfen sie bei der Umsetzung ihrer Ziele die personellen wie finanziellen Kapazitäten nie aus den Augen verlieren. Alles drei muss zusammenspielen: Ein Projekt muss finanziell und personell gestemmt werden können, eine gemeinsame Richtung muss, trotz prinzipieller Offenheit, festgemacht werden und Regisseur:innen etc. zum Konzept passend verpflichtet werden.

Im Gespräch über seine Arbeit sucht Faltz den Vergleich mit einem Schachbrett: gedanklich und in der Vorbereitung immer einen Schritt voraus, heißt es, in Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Themen und Entwicklungen das künstlerische Profil zu schärfen, Visionen zu entwickeln, Partner:innen zu finden und sich mit der Region zu vernetzen. Faltz ist bemüht, sein Theater in die Stadt zu tragen. Davon legt zum Beispiel das Projekt »Bürger auf Zeit« Zeugnis ab, das nach den Erfahrungen Marburger Studierender mit ihrer Stadt fragt und umgekehrt: die Stadt Marburg darauf prüft, inwieweit Studierende, sozusagen Gäste auf Zeit, ihre Stadt verändern.

»Wie einen Jahrmarkt: Theater als Ort der Reibung, des Austauschs, der Diskussion. Theater soll Dinge anschieben, die die Stadt bewegen.«

Obgleich es ein bisschen gedauert hat, bis die Marburger zur Kenntnis genommen haben, dass nach beinahe zwanzig Jahren jetzt ein anderer die Geschicke des Theaters leitet, fühlt sich Matthias Faltz heute angekommen. Er denkt sich das Theater gerne wie einen Jahrmarkt: Theater als Ort der Reibung, des Austauschs, der Diskussion. Theater soll Dinge anschieben, die die Stadt bewegen, auch daran denkt Faltz, wenn er über Ankommen spricht: wenn Stadt und Theater zusammenfinden.

erschienen in junge bühne Nr. 5