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Wie werde ich Maskenbildner:in?

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Ausbildung Maskenbildner:in

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Maskenbildnerin am Theater Osnabrück

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Maskenbildner:innen an der Oper Leipzig

Gestalter:in im Hintergrund – Ganz nah am Menschen

Text: Vera Scory-Engels

Violetta stirbt. Die Kamera zoomt ran. Jedes Zucken ist auf der Leinwand in Großaufnahme zu sehen, ihr kahler Kopf erzählt die Geschichte einer qualvollen Krankheit. Die Bilder erinnern an den englischen Big-Brother-»Star« Jade Goody, die ihren monatelangen Krebstod medial begleiten ließ. »Der Zoom bringt mich jedes Mal ins Schwitzen, man sieht jeden Stoppelpunkt, da muss die Glatze perfekt sitzen«, sagt Chefmaskenbildnerin Caroline Müller- Karl.

»Das ist das Tolle am Theater: jeden Tag wird eine neue Welt entworfen.«

Am Theater Plauen-Zwickau gehört das detailgenaue Sterben zur Inszenierung der Oper »La traviata«. Im ersten Akt hatte Violetta noch lange glänzende Haare, war das blühende Leben. In der 20-minütigen Pause bekommt sie von Müller-Karl und zwei Kolleg:innen eine Glatze aufgeklebt: die Kopfform muss natürlich aussehen, die Übergänge zur Haut unsichtbar sein. Jeden Abend leidet Violetta auf der Bühne, jeden Abend bringt die Maske die gleiche präzise und schnelle Leistung, die Kamera ist unerbittlich. »Natürlich ist das immer hektisch. Aber das ist das Tolle am Theater, jeden Tag wird eine neue Welt entworfen, da fühlt man sich doch lebendig«, schwärmt Müller-Karl.

Auch für die Chefmaskenbildnerin am Aalto-Theater Essen, Doris Kallmeyer-Rauh, sind Hektik, Stress und Unruhe ganz normale Bestandteile ihres Tagesablaufs. Müller-Karl arbeitet seit 10 Jahren als Maskenbildnerin, Kallmeyer-Rauh seit 35. Beide berichten mit derart ansteckender Begeisterung von ihrem Beruf, dass man am liebsten selbst zu Knüpfnadel, Stielkamm und Schminkschwamm greifen möchte, den wichtigsten Werkzeugen von Maskenbildner:innen.

»Der Mensch ist der Ausgangspunkt jeder Maske.«

Zusammen mit der Kostümabteilung, der Regie und den Künstler:innen erwecken Maskenbildner:innen einen Bühnencharakter zum Leben, arbeiten kontinuierlich am Gesamtkonzept mit. Nach Figurenzeichnungen folgt die Umsetzung mit verschiedensten Materialien, Farben und Stoffen. Am Theater wird das meiste selbst angefertigt, da bei jeder Inszenierung ganz individuell festgelegt wird, wie die Darsteller:innen auszusehen haben. Perücken oder Bärte werden mit der Hand geknüpft, rund 40 Arbeitsstunden dauert die Herstellung einer einzigen Perücke.

Manchmal arbeiten die Maskenbildner:innen lange an einem bestimmten Effekt. »Bei unserer »Elegie für junge Liebende« musste ein Darsteller aussehen, als wäre er 40 Jahre lang im Eis eingefroren gewesen. Wir haben wochenlang probiert, bis das Eis auf seinem Körper glaubwürdig bis in die letzte Zuschauerreihe aussah und dem Scheinwerferlicht standhielt«, sagt Kallmeyer-Rauh. Das klebrige Gel, das für Ultraschalluntersuchungen verwendet wird, erzielte in Kombination mit einer bestimmten Schminktechnik schließlich den gewünschten Glimmer-Effekt.

»Perücken oder Bärte werden mit der Hand geknüpft.«

Als besonders reizvoll empfinden beide Maskenbildner:innen die Mischung zwischen hoch konzentrierter Feinarbeit, schneller Improvisation und viel Trubel. Die filigrane, fast meditative Arbeit an einer Perücke, einem Bart oder einer Kascheemaske, am liebsten morgens ganz früh, wenn es im Theater noch still ist. Die Aufregung vor und während der Vorstellung, wenn nachgebessert, angeklebt, umgeschminkt werden muss.

Das Schönste ist die Arbeit am und mit Menschen, die Kommunikation mit denen, die sie jeden Abend verwandeln. »Der Mensch ist der Ausgangspunkt jeder Maske«, sagt Müller-Karl. »Künstler:innen und Maskenbildner:innen kommen sich sehr nahe, aber es hat nichts Grenzüberschreitendes. Es ist eine ganz besondere Form der Intimität. Man lernt voneinander, man spricht viel, man schweigt miteinander.« Die klassischen Einstiegsfragen, wenn die Maskenbildner:innen die Künstler:innen noch gar nicht kennt, sind die nach Hautunverträglichkeiten, Kontaktlinsen, Haarproblemen. »Sänger:innen und Schaupieler:innen sind sehr unterschiedlich, die muss man auch unterschiedlich behandeln,« sagt die Zwickauer Maskenbildnerin. Sie hat selbst musiziert, kann sich daher gut in den körperlichen Zustand einer Sängerin hineinversetzen.

Interesse an Menschen und an der Kunst, Kommunikationsfähigkeit, Neugier, Offenheit und eine gewisse menschliche Reife machen gute Maskenbildner:innen aus. Und natürlich eine gute Ausbildung. Seit 2003 gibt es eine eigenständige Ausbildung von Staatlich Geprüften Maskenbildner:innen. Eine Friseur:inlehre oder andere praktische Erfahrungen steigern allerdings die Chancen auf einen Ausbildungsplatz.

Am Aalto-Theater müssen Azubis vor der Ausbildung ein Praktikumsjahr absolvieren. »In der Maske zählen Kreativität und praktisches Talent. Da kann die Bewerbungsmappe noch so hübsch sein, jede:r Ausbilder:in erkennt sofort, ob du dir anhand einer Figurine eigenständig etwas erarbeitest oder ob du für eine bestimmte Rokoko-Frisur nur nach Schema-F.-Locken drehst«, so Kallmeyer-Rauh. Sie rät dazu, sich genau zu informieren und vor Ort am Theater zu fragen, welche Schulen zu empfehlen sind. »Privatschulen lehren oft ein wenig am Berufsalltag vorbei.« Auch bei den Studiengängen gibt es Praxisbausteine, die entscheidend sind auf dem Weg in den Beruf.

»Special Effects werden in Theatermasken immer wichtiger. Dazu gehören auch Wunden oder Blutfontänen.«

Die Ausbildung in Deutschland umfasst die Bereiche Make-Up, Special Effects und Haararbeiten. Special Effects werden in Theatermasken immer wichtiger. »Dazu gehören beispielsweise Wunden oder Blutfontänen. Aber auch die Filmästhetik hat einen großen Einfluss auf die visuellen Vorstellungen von Regisseur:innen, das müssen wir natürlich umsetzen,« sagt Kallmeyer-Rauh und zeigt geflügelte Figurinen für eine »Tannhäuser«-Produktion, die stark an »Angel« aus dem Superhelden-Film »X-Men« erinnern.

Büroarbeit gehört vor allem für Leitungspositionen zum Berufsalltag. »Die Sicherheitsauflagen sind in den letzten Jahren strenger geworden, wir gehen ja täglich mit Gefahrenstoffen wie Silikon, Aceton, Spiritus, Haar- oder Farbspray um«, so die Essener Maskenbildnerin. Lange Arbeitszeiten sind normal, wie für die meisten Theatermitarbeiter:innen gilt auch für Maskenbildner:innen selbstverständlich Dienst an Sonn- und Feiertagen und lediglich ein großer Urlaub im Jahr während der Sommerpause.

Es gibt mehr weibliche als männliche Maskenbildner:innen. Bis in die 60er Jahre war das noch anders, da arbeiteten aber auch mehr Männer in den damals noch gesellschaftlich anerkannteren Berufen Friseur:in oder Barbier:in. Müller-Karl vermutet, dass es auch am Verdienst liegt. Als Maskenbildner:in wird man – wie überall am Theater – nicht reich, die Bezahlung erfolgt nach Tarifvertrag, fällt aber je nach Standort oder Größe des Theaters unterschiedlich aus.

Am Aalto-Theater arbeiten neben den beiden Leiter:innen Kallmeyer-Rauh und Frank Landau 20 Personen, beim fusionierten Theater Plauen-Zwickau sind insgesamt neun Leute für alle Sparten und beide Standorte verantwortlich. Freie Maskenbildner:innen arbeiten zumeist für die Werbe-, Kosmetik- oder Filmbranche, eher selten am Theater. »Bei großen Produktionen wie der »Evita« auf der Freilichtbühne mit 60 Perücken und 150 Personen im Extra-Chor benötigen wir manchmal Zusatz-Maskenbildner:innen, entweder Kolleg:innen aus anderen Häusern oder Freie«, berichtet Müller-Karl.

»Zauber der Maskenbildner:innen-Welt.«

Kallmeyer-Rauh ist Prüferin bei der Industrie- und Handelskammer (IHK) Köln, an der durchschnittlich 15 junge Leute pro Jahr ihre Maskenbildner:innenprüfung ablegen. Um die Qualität des Nachwuchses macht sie sich keine Sorgen, kümmert sich auch selbst tatkräftig darum. An einem Tag der offenen Tür brachte sie vor einigen Wochen eine Schulklasse desinteressierter Teenies dazu, dass sie mit Begeisterung stundenlang in den Räumen der Maske Filzblumen bastelten und sich die Haare hippiemäßig frisierten. »Die meisten hatten keine Ahnung von ihrer Kreativität, davon, dass sie selber etwas gestalten können.« Am Abend haben dann alle mit den Blumen im Haar »Jesus Christ Superstar« im Aalto-Theater angeschaut. Und ganz nebenbei den Zauber der Maskenbildner:innen-Welt kennen gelernt.

erschienen in junge bühne Nr. 4