Modistin Toni Strandberg mit einer Hutkreation und Modellköpfen
Foto: Sophie Vondung

Die Hutmacherin: Kreativität im Akkord

Text: Sophie Vondung

Als Hutmacherin für Theaterproduktionen ist man ganz schön gefordert. Denn die Anforderungen gehen hier über bloße Hüte weit hinaus. Worauf kommt es an in diesem Beruf, und was muss man dafür an Fertigkeiten mitbringen?

Im Eingangsbereich des Bühnenservice hängt eine große Plastiktüte. Daraus zaubert Toni Strandborg ein Ungetüm aus weißer Spitze hervor und setzt es sich auf den Kopf. Die dreieckige Kopfbedeckung reicht ihr bis zu den Schultern, wo sie in einem Spitzenkragen endet. „Jetzt aber schnell wieder rein damit, das wird gleich abgeholt“, sagt sie. Am nächsten Tag ist es bei der Premiere von „Tartuffe“ auf dem Kopf einer Schauspielerin des Deutschen Theaters zu sehen.

Toni Strandborg ist seit über 30 Jahren Modistin, das heißt Hutmacherin, beim Berliner Bühnenservice. Diese Werkstätten beliefern von ihrem riesigen Gelände aus die drei Berliner Opernhäuser, das Staatsballett, das Deutsche Theater, und das Theater an der Parkaue mit Kulissen und Kostümen. Beim Betreten ihres Arbeitsplatzes, der Hut- und Putzwerkstatt, wird klar: Die Aufgaben gehen über normale Hüte weit hinaus. Auf einer Werkbank liegen einige glitzernde lila Cowboy-Hüte mit Lichterketten um die Krempe. Im Regal liegt eine Maske, auf der strahlenförmig hunderte durchsichtige Kabelbinder angebracht sind. „Für ein Ballett haben wir Kopfbedeckungen aus Haaren genäht“, erzählt Strandborg. „Es gibt kein Material, das wir nicht benutzen.“ Deshalb braucht es für ihren Beruf auch viel Fantasie und den Mut, einfach mal zu machen. Die Basics sind trotzdem weiterhin gefragt. Durch die Glastür von Strandborgs Büro können wir beobachten, wie eine ihrer sieben Kolleginnen und Kollegen an eine Metallkugel tritt, mit der sie Filz in Hutform bringt. Manche Aspekte des Berufs haben sich über die Jahre nicht geändert.

„Für ein Ballett haben wir Kopfbedeckungen aus Haaren genäht.“

Jedoch gilt auch für diese Tätigkeit, was leider auf viele kreative Berufe zutrifft: „Es ist kein Beruf zum reich werden“, so Strandborg. Und es ist schwer, darin Fuß zu fassen. „Bei Kürzungen setzt der erste Rotstift immer an den Werkstätten an.“ Und: Weil Modistin seit Jahrhunderten ein Frauenberuf ist, ist er in der freien Wirtschaft immer noch schlecht bezahlt. Weil sie für so viele Häuser gleichzeitig zuständig sind, haben Strandborg und ihr Team alle Hände voll zu tun. In einer normalen Spielzeit betreut die Werkstatt um die 60 Premieren. Kreativ sein im Akkord. „Da ist man dann schon kaputt am Abend“, sagt sie. Bevor eine neue Kopfbedeckung entsteht, ist zu klären, welches Material das passende ist. Ausgehend von einem Entwurf der Kostümbildnerin oder des Kostümbildners müssen Strandborg und ihre Kolleginnen und Kollegen dann herumprobieren, bis sie die richtigen Proportionen gefunden haben. Dabei ist es wichtig, auf die Bedürfnisse der Künstlerinnen und Künstler einzugehen, die das Endprodukt später tragen werden. „Für eine Oper haben wir einen ganzen Chorsatz Kopfbedeckungen aus großen Spiegeln gebaut“, erinnert sich Strandborg. Die durften nicht zu schwer sein, nicht verrutschen, und die Stimme der Sängerinnen und Sänger nicht beeinflussen.

Darüber hinaus müssen die Modistinnen und Modisten Fragen der Arbeitssicherheit beachten, beispielsweise wenn eines ihrer Produkte auf der Bühne in Flammen aufgehen soll. Wenn Blut fließt oder das Kostüm sonst irgendwie beschmutzt wird, muss es aus einem leicht waschbaren Material sein. Jede Menge zu bedenken also. Aber Toni Strandborg liebt das Theater und freut sich über neue Herausforderungen. Kurz vor der Premiere ist sie dann bei den Endproben dabei und darf ihre Produkte auf der Bühne bewundern.

Erschienen in junge bühne Nr. 15