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Was macht ein:e Regieasssitent:in?

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10 Fragen an eine Regieasssitentin

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Die Freuden und Leiden eines jungen Regieasssitenten

Harte Schule – Ein Regieassistenz berichtet

Zwischen Zwischen und Dazwischen: Meine drei Jahre als Regieassistent an deutschen Stadttheatern. Ein Erlebnisbericht.

Text: David Heiligers

Juni 2010, die Chefdisponentin wendet sich am Ende ihrer Einweisung in meine beruflichen Pflichten und Aufgaben vertrauensvoll an mich: »Eins möchte ich dir noch mit auf den Weg geben: Du wirst der Blitzableiter für alle sein. Aber nimm es bitte nie persönlich!« – »Das kann ja was werden«, denke ich im Stillen bei mir. Einige Tage später, mein Studium gerade abgeschlossen, den Vertrag unterschrieben und voller Vorfreude, trat ich meinen Dienst als Regieassistent an den Münchner Kammerspielen an. Meinen Eltern und Freunden hatte ich vorausahnend gesagt, dass sie die nächsten zwei Jahre nicht mit mir zu rechnen bräuchten. Es sollten drei Jahre werden. Drei Jahre, die ich keinesfalls missen möchte, aber auch wirklich kräftezehrende und entbehrungsreiche Jahre.

Die Kammerspiele und die Münchner Theaterlandschaft waren mir wohlbekannt. Ich hatte dort während des Studiums bereits einige Hospitanzen und Praktika absolviert, ebenso wie in der Freien Szene, so dass ich mich für eine feste Assistentenstelle gewappnet sah. Das war ich sicherlich auch, und dennoch anfangs heillos überfordert. Meine erste zugeteilte Produktion war Kleists »Hermannsschlacht« in der Regie von Armin Petras – ein absoluter Sprung ins kalte Wasser. Die Inszenierung gehörte zum Eröffnungsreigen von Johan Simons‘ Intendanz. Das Haus flirrte und der Druck war bei jedem und allerorts spürbar. Druck, genau das war es auch, was ich bei Petras vom ersten Arbeitstag an empfand. Aber gleichzeitig ein hohes Maß an Mitverantwortung und Eigenständigkeit. Fünf Wochen Proben – fünf Wochen unglaubliche Energie. Dann ging ich fix und fertig in die Sommerpause und hatte noch zwei Wochen lang die Stimme des Regisseurs im Ohr. »Das kann ja echt was werden«, dachte ich mir.

Aber es wurde besser, schon nach dem Sommer. Die Sicherheit im Umgang mit Regisseur:innen und Darsteller:innen wuchs und auch organisatorische Aufgaben wie die Probendisposition gingen mir zunehmend leichter von der Hand. An den ständigen Druck gewöhnte ich mich und mir gelang es (zumindest nach außen hin) stets ruhig zu bleiben. Ich lernte zu kommunizieren, zu vermitteln, neutral und trotzdem mit eigener Position dazwischen zu stehen: zwischen dem Theater und einem künstlerischen Team, zwischen zwei Schauspieler:innen, zwischen Dramaturg:innen, Gewerken, dem Publikum. Ich lernte jedoch nicht, bei all diesen Interessen auf mich selbst zu achten und ging zunehmend im Mikrokosmos Kammerspiele unter. Denn die Stadttheater-Maschine muss laufen, das kapierte ich schnell. Erst viel später allerdings, dass sie den Einzelnen dabei nicht schützt. Doch da es genug Arbeit gab und sie Spaß brachte, machte ich weiter. Außerdem hatte der Intendant Johan Simons uns Regieassistent:innen versprochen »Regie-« genauso ernst zu nehmen, wie »Assistenz«. So war ich voller Tatendrang und nach drei Monaten nicht nur mit den alltäglichen Vorgängen, dem Haus und seinen Mitarbeiter:innen vertraut, sondern hatte auch schon zwei Premieren auf der großen Bühne hinter mir. Darüber hinaus zwei Gastspiel-Betreuungen, zwei Veranstaltungen des monatlichen Lesemarathons mit dem ganzen Ensemble und eine erste Gastspiel-Reise mit »Hiob« nach Moskau. Weiterhin starteten die Jugendclubs ebenfalls in eine neue Saison, die von uns Assistent:innen und jungen Schauspieler:innen geleitet wurden. Die Nachmittage zwischen Vormittags- und Abendprobe verbrachte ich also entweder mit den Jugendlichen auf der Probebühne, auf diversen Planungstreffen und Sitzungen oder mit vor- und nachbereitender Büroarbeit. Mit zirka 15 Abendspielleitungen pro Monat war mindestens jeder zweite Abend dem Theater gewidmet – und die andere Hälfte mit Proben belegt.

»Du wirst der Blitzableiter für alle sein. Aber nimm es bitte nie persönlich!«

Eigentlich kaum möglich, bei solch einem Arbeitspensum auch noch eigenverantwortlich künstlerisch tätig zu werden. Aber es gab einige wenige Lücken, die es zu nutzen galt. Die alljährlichen Adventslesungen für Kinder, wie sie an vielen Theatern üblich sind, waren beispielsweise eine solche und boten die Möglichkeit mit tollen Schauspieler:innen in einem geschützten Rahmen etwas auszuprobieren. So entstand im Dezember 2010 mit »Der kleine Häwelmann« eine eigene kurze Werkstatt-Inszenierung, die wir im folgenden Jahr mit großer Freude wiederaufnahmen und dann sogar bei einem Festival in Amsterdam zeigten. Ein Glückserlebnis. Der überwiegende Alltag des Jobs bestand allerdings fast ausschließlich aus Organisieren und administrativen Tätigkeiten. Wenn es überhaupt möglich ist Regie zu lernen, so beschränkte sich dies hier auf das tägliche Beobachten der Arbeitsweisen ganz unterschiedlicher Regisseur:innen: entweder in zweiter Reihe bei den Proben oder auch federführend während der Abendregie. Beides sind nicht zu unterschätzende Erfahrungen, und beispielsweise Schauspieler:innen nach einer Vorstellung Kritik zu geben, ist nicht immer leicht. Trotz allem bist und bleibst du Assistent:in. Dies zu akzeptieren kann auf Dauer schwer werden. Man muss viel zurückstecken und geduldig sein. Und wenn du ein sehr guter Assistent bist, bist du noch nicht automatisch ein:e sehr gute:r Regisseur:in.

Diese Erkenntnis holte mich bei »Wunschkonzert« im Juni 2012 ein. Es sollte dies eine Art Abschlussinszenierung meiner Assistenzzeit in München werden. Es war eine schwierige und dennoch gute Arbeit, das Ergebnis konnte sich sehen lassen und der Abend lief letztlich ein Jahr lang erfolgreich im Werkraum der Kammerspiele. Aber: Von meinen bis dato gewonnenen Erfahrungen als Assistent konnte ich mir als Regisseur nichts kaufen. Wenngleich mir viele Abläufe und Prozesse während der Proben aus Assistentensicht bestens bekannt waren, ging die Souveränität häufig verloren. Das eine hatte mit dem anderen nichts zu tun, und so fühlte ich mich oft, als ob ich wieder bei Null anfangen würde. »War das was?«, fragte ich mich. Ein nächster beruflicher Schritt schien mir noch zu gewagt, andererseits suchte ich neue Herausforderungen. So verständigte ich mich im Rahmen von »John Gabriel Borkman«, der zweiten Zusammenarbeit mit Armin Petras darauf, als Regieassistent für das letzte Jahr seiner Intendanz zu ihm ans Maxim Gorki Theater nach Berlin zu kommen.

Nach einer kurzen Sommerpause startete ich im August 2012 mit Jorinde Dröses »Ein Volksfeind« also in mein letztes Assistentenjahr an diesem deutlich kleineren und ärmeren Stadttheater. Ich war gespannt auf das für mich neue Haus. Gleichzeitig wollte ich meine ersten Zweifel und Frustrationen, die sich über Sinn und Legitimation dieses Berufsfeldes inzwischen angehäuft hatten, überprüfen. Ich hatte mir vorgenommen, die Sache in Berlin etwas ruhiger, gelassener und sachlicher anzugehen, öfter auch mal ‚Nein‘ zu sagen und mehr auf mich zu hören. Durch den Wechsel und auch aufgrund einer nun schon gewissen Routine im Job gelang mir das sogar. Die Arbeit wurde dadurch trotzdem nicht weniger, ebenso wenig stieß ich auf andere Strukturen und Arbeitsbedingungen. Die wöchentliche Dispo-Runde mit allen Abteilungen und Gewerken hieß jetzt KBB-Sitzung und nicht mehr Regiesitzung, sonst änderte sich nichts. Außer bei der Art des Theatermachens; das kam mir in vielen Dingen schneller, pragmatischer, improvisierter und handwerklicher vor. Dies hing unter anderem damit zusammen, dass hier deutlich weniger Mittel – sowohl materiell als auch finanziell – zur Verfügung standen.

Geprobt wurde nicht auf luxuriös ausgestatteten Theater-Probebühnen, wie ich es aus Münchner Zeiten kannte, sondern in stillgelegten Autohallen am anderen Ende der Stadt. Die Inszenierungen erschienen mir mehr auf Berlin und dessen Theaterpublikum ausgelegt, als an der hohen Kunst orientiert zu sein. Von einem Haus in der Findungsphase zum Beginn einer Intendanz kam ich an ein gewachsenes und eingespieltes Ensemble mit ersten Auflösungserscheinungen ob des bevorstehenden Endes einer Intendanz. Diese Kontraste mitzubekommen war interessant, das dritte Jahr gemacht zu haben richtig, trotzdem war ich erleichtert, als die Assistenzzeit zu Ende ging. »Das war ja was gewesen.«

Ein Blitzableiter umspannt ein Haus über alle Stockwerke vom Dach bis zur Erde. Er sollte dabei Haltung bewahren.

Unter dem Strich war eine feste Regieassistenz für mich ein guter Berufseinstieg. Ich stehe heute deutlich desillusionierter da. Ich habe viel gearbeitet und dafür wenig Geld bekommen. Ich bin an die Grenzen meiner physischen und psychischen Belastbarkeit gegangen. Aber da gab es auch zahllose beeindruckende Erlebnisse, tolle Begegnungen und Kontakte, viel Abenteuer. Und sogar das ständige Dazwischenstehen hat letztlich stark und selbstbewusst gemacht. Ein Blitzableiter umspannt ein Haus über alle Stockwerke vom Dach bis zur Erde. Er sollte dabei Haltung bewahren. Das war mein Job. Und wie es danach jetzt weitergeht? »Anders, aber das wird schon werden.«

erschienen in junge bühne Nr. 7