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Schauspieler:in werden

Berufswunsch Schauspieler:in

Text: Vera Scory-Engels

Viel Konkurrenz, wenige Stellen, eine harte Ausbildung, unbequeme Arbeitszeiten. Warum der Schauspiel-Beruf das alles wert sein kann, wie man ihn erlernt und wie man dann ein Engagement bekommen kann.

»Auf der Bühne ist alles möglich! Du erfährst andere Seinszustände, Gefühlsextreme. Theaterspielen ist ein riesengroßer Freiraum, den du im Alltag nicht erleben kannst.« Wenn Felix Goeser über seinen Beruf spricht, befindet man sich förmlich mit auf der Bühne, soviel Energie und Begeisterung strahlt er aus. Gleichzeitig beschreibt er das Schauspieler:innendasein als »unsozial, fast lebensfeindlich«:

  1. Wegen der oft geringen Bezahlung (die Mindestgage liegt aktuell bei 2.000 Euro brutto monatlich).
  2. aufgrund der ständigen Ortswechsel (im Schnitt alle zwei bis drei Jahre) durch befristete Verträge.
  3. weil die Arbeitszeiten kaum ein geregeltes Privatleben zulassen und weil Schauspieler:innen immer dann arbeiten, wenn andere frei haben (Vorstellung auch an Wochenenden und Feiertagen, Probenalltag 10-14 Uhr und 18-22 Uhr).

»Theater zieht dich voll rein, will immer alles von dir. Du musst aufpassen, dass du nicht zu viel von dir gibst, dass du eine Distanz bewahrst.« Goeser liebt seinen Beruf und sieht ihn dennoch kritisch.

»Viele haben einen völlig falschen Blick, verklärt durch ›Stars‹ aus Film und Fernsehen.«

Diesen gesunden Blick auf die Berufsrealität wünschen sich die Agent:innen der Künstler:innenvermittlung der ZAV: »Viele haben einen völlig falschen Blick, verklärt durch ›Stars‹ aus Film und Fernsehen. Man muss Opfer bringen. Absolute Leidenschaft für den Beruf ist unabdingbar. Und man muss sich sicher sein, das ein ganzes Leben lang durchhalten zu können,« meint Beate Darius von der Kölner Agentur.

Die Leidenschaft entdeckt jede und jeder anders. »Vielen meiner Mitstudierenden war schon als Teenager klar, dass sie Schauspieler:innen werden möchten«, sagt Goeser. »Nachdem ich die Schule kurz vor dem Abitur abgebrochen hatte und auf der Suche war, hat es mich mit Anfang Zwanzig dann gepackt. Durch Zufall bin ich an eine Theatergruppe geraten, deren Leiter Potenzial in mir gesehen hat. Mein Schlüsselerlebnis war ein Workshop in Polen, wo ich ohne Sprachkenntnisse, allein durch die Ausdruckskraft der polnischen Schauspieler:innen, die Stücke verstanden habe. Das hat mich einfach weggeblasen.«

Die Aufnahmeprüfung

Es gibt nicht den Weg auf die Bühne, die meisten angehenden Schauspieler:innen absolvieren aber eine Ausbildung an einer staatlichen Schauspielschule.

»Es ist einfach die Realität, dass Theater eher Absolvent:innen von staatlichen Schulen engagieren«

Staatliche Schulen genießen den besten Ruf in der Szene, auch wenn es viele Privatschulen gibt, die ebenfalls eine fundierte Ausbildung anbieten. »Es ist aber einfach die Realität, dass Theater eher Absolvent:innen von staatlichen Schulen engagieren«, so Darius. Eine private Ausbildung ist zudem um ein vielfaches teurer.

Die erste Station ist die Aufnahmeprüfung an einer der etwa 20 Schauspielschulen im deutschsprachigen Raum (siehe Tabellen). Bis zu 1.000 Bewerber:innen reisen jedes Jahr von Schule zu Schule, um einen der wenigen Plätze zu ergattern: 6–10 Schüler werden jeweils pro Jahr an den Schulen genommen, an der Ernst-Busch-Schule in Berlin rund 20. Und nicht immer wird ein Grund genannt, warum man abgelehnt wurde.

»Monologe des klassischen und zeitgenössischen Theaterrepertoires«

Die Anforderungen der mehrtätigen Aufnahmeprüfungen variieren von Schule zu Schule. In der Regel müssen beim Vorsprechen mehrere Monologe des klassischen und zeitgenössischen Theaterrepertoires und verschiedene Lieder vorgetragen werden. Goeser rät, sich vor dem Vorsprechen Feedback einzuholen.

Auf der Schauspielschule

Die Ausbildung ist praktisch orientiert, trotzdem legen die Schulen großen Wert auf Theatergeschichte, -dramaturgie und -theorie. »Es war sehr verschult, was ich damals gut fand«, erzählt Goeser. Am Anfang lernt man Grundlagen, unter anderem Improvisieren, Bewegungstraining, Jonglieren, Fechten und Akrobatik. In das Szenenstudium steigt man später ein. Dann wird intensiv an einer Szene oder Rolle gearbeitet, an jeder Handbewegung, bis zu sechs Wochen. Im Berufsleben hat man für ein ganzes Stück nur sechs bis acht Wochen Zeit.

»Training der Stimme und des Körpers«

Schwerpunkte der Ausbildung sind Bewegungs-, sowie Atem-, Sprech- und Stimmtraining. Der Körper soll »durchlässig« werden, so dass die Zuschauer:innen möglichst viel aus den Bewegungen ablesen können. Die ständige Wiederholung von Abläufen, ist während der Ausbildung manchmal öde, zahlt sich später aber aus: Goeser musste während seines Engagements in Stuttgart einen zehnminütigen Fechtkampf beim Stück »Gefährliche Liebschaften« abliefern – und merkte, dass die Fecht-Bewegungsabläufe, die er auf der Schule gelernt hatte, immer noch in ihm gespeichert waren: »Ein tolles Gefühl!«

Sprecherziehung hört seiner Ansicht nach nie auf: »Ich habe nach dem Abschluss privaten Unterricht genommen, um meine Bandbreite zu erweitern. An der Schule habe ich eine gute handwerkliche Sprechausbildung bekommen, beim privaten Linklater-Stimm-Training habe ich gelernt, tief aus mir, aus meinem Gefühl heraus zu sprechen. Man erlebt, auch durch Sprache ›durchscheinend‹ zu werden, eine Person abzubilden.«

»Geschriebene Sprache auf der Bühne zur lebendigen Kommunikation werden lassen.«

Während der Ausbildung übt man, Text locker »runterzureden« und eine authentische Perspektive zu finden. Man fügt z.B. Füllsel ein (»ey Mann«, »hör mal«, »sach ma«), um die Sprache alltäglicher werden zu lassen, die bei der Aufführung dann weggelassen werden. Oder man redet seine:n Partner:in zwischendurch mit dem realen Vornamen an. Denn die »Kunst« besteht darin, dass geschriebene Sprache auf der Bühne zur lebendigen Kommunikation wird. Schauspielstudieren lernen, auf die unterschiedlichen Regisseur:innen, die ihnen später begegnen, mit Varianten reagieren zu können. Eine seiner ersten Rollen nach der Ausbildung spielte Goeser im Jahr 2000 am Deutschen Theater im Stück »Verratenes Volk«, bei Einar Schleef, der extrem formal und minutiös mit Sprache arbeitete. »Er stand total darauf, wenn man den Text kräftig und glasklar in den Raum ›hauen‹ konnte.«

»Du lernst, dich Kritik zu stellen, die ans Eingemachte geht.«

»In der Schauspielschule lernst du Teamwork, ohne das gar nichts geht. Du lernst, dich Kritik zu stellen, die ans Eingemachte geht. Das ist schwierig, wenn du jung und mit deiner Selbstfindung beschäftigt bist«, erzählt Goeser. »Da gab es bei uns Heulen, Zähneklappern und Selbstvertrauensverlust. Du musst aber daran arbeiten, das von deinem ureigenen Kern abzutrennen. Um eine Rolle lebendig und echt zu machen, stellst du ja nur Teile von dir zur Verfügung. Aber gerade am Anfang bist du wahnsinnig verletzlich.«

Das erste Engagement

Manche Talente werden schon während der Ausbildung entdeckt, aber meist folgt nach der Abschlussprüfung die ›Jagd‹ nach dem ersten Engagement – zusammen mit jährlich rund 200 anderen Absolvent:innen der staatlichen Schulen und vielen Privatschulen. Die Zahl der freien Stellen ändert sich jede Spielzeit.

»ZAV-Vorsprechen«

Insgesamt arbeiten in Deutschland rund 2.000 Ensembleschauspieler:innen, dazu kommen Gastverträge, Festivals etc. Am Ende des 3. Studienjahres finden im Herbst an den Hochschulen Absolvent:innenenvorsprechen statt, zu denen Intendant:innen, Dramaturg:innen und die ZAV-Künstler:innenvermittlung kommen. Manchmal laden Theater eine ganze Abschlussklasse zum Vorsprechen ein, andere Häuser nutzen die Vermittlung der ZAV. Dort beobachten Agent:innen, die alle eine einschlägige Theatervergangenheit haben, den bundesweiten Markt und vermitteln passende Kandidat:innen. Die Theater erhalten dadurch eine gefilterte Vorauswahl, bekommen beispielsweise direkt bestimmte ›Typen‹ präsentiert.

Hilfreich findet Darius ein mehrtägiges Absolvent:innen-Vorsprechen aller Hochschulen im November, zu dem seit drei Jahren das Rheinische Landestheater Neuss die Theaterleiter einlädt. Bei solchen »Events« tauscht sich die Szene aus. Goeser rät, den Frust einer Absage mit in das nächste Vorsprechen zu nehmen und in Überzeugungskraft umzusetzen. Er selbst hat viele Engagements über schriftliche Bewerbungen erhalten – eine weitere Möglichkeit. Und letztlich gilt: Qualität, begleitet von Energie und Beharrlichkeit, wird sich durchsetzen, egal auf welchem (Um-)Weg.

»Das erste Engagement selten an einem der ›großen‹ Häuser«

Zur Enttäuschung vieler Absolvent:innen führt das erste Engagement selten an eines der »großen« Häuser. Dabei bringt einen die Arbeit an kleineren Bühnen durchaus künstlerisch weiter; Anfänger:innen erhalten aufgrund der Ensemblegröße hier eher die Gelegenheit, ihr Können in größeren Rollen unter Beweis zu stellen. Goeser hat gerade am Anfang die Theater häufiger gewechselt, um den eigenen spielerischen Horizont zu erweitern und verschiedene Regiestile kennenzulernen. Zudem kann man sich schon an das berufsbegleitende Nomadendasein gewöhnen. Später nehmen Intendant:innen oder Regisseur:innen »ihre« Schauspieler:innen oft mit, wenn sie die Häuser wechseln.

»Man ist in dem Beruf kein:e Maler:in, der allein vor einer Staffelei steht, sondern um dich herum hantieren viele Leute mit Pinseln und unterschiedlichen Stilen.« sagt Goeser. »Es bringt einen manchmal zur Weißglut, aber alle müssen unter Zeitdruck mitmalen, damit ein harmonisches und zugleich aufregend neues Bild entsteht. Das ist das Schwierige, aber auch das Wunderbare.«

erschienen in junge bühne Nr. 2