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Souffleuse an der Staatsoper Hannover

Souffleur und Souffleuse – Unsichtbare Rolle

Text: Vera Scory-Engels

Dunkel. Stille. Schweiß. Ich weiß nicht mehr weiter. Was kommt jetzt? Ich das Atmen der anderen, ich spüre Blicke. Die Zeit arbeitet gegen mich. Unerträgliche Stille. Und dann – ein Anschlag!

Ungefähr so fühlt es sich an, wenn Schauspieler:innen oder Sänger:innen auf der Bühne einen ›Hänger‹ haben. Einfach nicht mehr weiter wissen, den Text oder die Melodie vergessen haben. Die Situation eines klassischen Blackouts kennt sicher jede:r, doch mitten im Rampenlicht ist das nicht nur besonders unangenehm: das Gelingen der ganzen Szene, der ganzen Vorstellung steht auf dem Spiel. Gut, dass es am Theater eine Souffleuse oder Souffleur gibt. Wenn ein:e Künstler:in ›hängt‹ oder den Text ›geschmissen hat‹, dann sagen sie ganz einfach vor. Meist genügen die ersten Worte oder Noten, um den Darsteller:innen auf die richtige Fährte zu führen, das nennt man dann im Fachjargon den ›Anschlag‹. Das Publikum bekommt davon so gut wie nie etwas mit.

» Das Gelingen der ganzen Szene, der ganzen Vorstellung steht auf dem Spiel.«

Souffleusen und Souffleure gehören zu den vielen Mitarbeiter:innen an einer Theater- oder Opernaufführung, die man nicht sieht, die aber einen wesentlichen Beitrag zum Gelingen einer Vorstellung leisten. Ihre Arbeit beginnt damit, dass sie sich akribisch mit dem Stücktext oder – im Musiktheater – mit der Partitur auseinandersetzen. Die Inhalte müssen quasi sie im Schlaf beherrschen.

Während der meist sechswöchigen Probenzeit sind sie dann intensiv in den künstlerischen Prozess eingebunden, lernen die Eigenheiten und Schwachstellen der Darsteller:innen im Stück kennen und bekommen ein Gespür dafür, was Regisseur:innen oder Dirigent:innen wollen. Dadurch können die Darsteller:innen sicher sein, dass ihnen während der Aufführung nichts passieren kann, sie vertrauen den Souffleusen und Souffleuren wie Artist:innen dem Sicherheitsnetz.

»Die guten Geister im Hintergrund. Sie spielen eine unsichtbare Rolle.«

»Das ist ganz wichtig, denn der Stresspegel von Sänger:innen auf der Bühne ist so hoch wie der eines Kampfjetpiloten im Flug«, so Beate Lenzen, Musiktheater-Souffleuse an den Bühnen Köln. »Die müssen sich blind auf uns verlassen können, wir sind die guten Geister im Hintergrund«.

Den Ernstfall auf der Bühne zu bewältigen ist also nur ein kleiner Teil der Arbeit, wichtig ist die genaue Vorbereitung gemeinsam mit den Künstler:innen. Oft entscheiden Sekundenbruchteile darüber, ob die Souffleusen oder Souffleure tatsächlich eingreifen müssen oder nicht. »Mit der Zeit erfühlt man, wann eine Kunstpause gemacht wird und wann man helfen sollte«, erzählt die Kölner Schauspiel- Souffleuse Christiane Sundermann.

»Codes, Geräusche oder Handzeichen, die einen ›Hänger‹ signalisieren.«

Manche Künstler:innen verabreden mit den Souffleusen und Souffleuren auch bestimmte Codes, also Stichworte, Geräusche oder Handzeichen, die einen ›Hänger‹ signalisieren. Klingt sinnvoll, funktioniert aber im Eifer des Gefechts nicht immer. Christiane Sundermann erinnert sich an eine Aufführung, während der ein Schauspieler den vereinbarten Geräusche-Code an völlig unproblematischen Textstellen von sich gab, und sie damit zu Schweißausbrüchen trieb. Hinterher stellte sich heraus, dass der Künstler den Code vollkommen vergessen hatte, das Geräusch aber als hilfreiches Stilmittel nutzte, um tiefer in die Rolle einzutauchen.

In Ausnahmefällen können Souffleuse und Souffleure auch dringende Anweisungen der Regie weiterleiten und Schauspieler:innen vor Ungemach bewahren. Beherrscht ein:e Sänger:in aber die deutsche Sprache nicht, ist Vorsicht geboten. So tat Beate Lenzen sicher gut daran, einem amerikanischen Sänger während der Vorstellung nicht zuzuflüstern, dass sein Hosenstall offen stand. »Ich hatte wirklich Sorge, dass er diesen Satz dann laut nachspricht oder gar singt«, gesteht sie. »Wenn ich während einer Aufführung nicht eingreifen muss, dann habe ich meinen Job richtig gut gemacht«, sagt Christiane Sundermann. Und fiebert jedes Mal wieder mit, freut sich über jede gelungene Vorstellung, auch wenn sie am Schluss keinen Beifall bekommt. Aber so ist das halt bei guten Geistern – sie spielen eine unsichtbare Rolle.

erschienen in junge bühne Nr. 1